Gedenkstätte Börneplatz und Museum Judengasse

Als Friedel Wallenstein nicht mehr in die Schule gehen durfte – Schüler:innen der Adolf-Reichwein-Schule in Pohlheim besuchen die Gedenkstätte Börneplatz und das Museum Judengasse

In diesem Schulhalbjahr hat der Fachbereich Gesellschaftslehre eine Gedenkstättenfahrt angeboten, die sich an alle interessierten Schüler:innen der Jahrgänge 7-10 richtete. Diese Veranstaltung wurde in Kooperation mit dem Verein Stolpersteine Pohlheim e.V. organisiert. Neben 18 Schüler:innen und drei Lehrerinnen der ARS nahmen auch Frau Isabel Stühn als Gemeinwesenkoordinatorin der Stadt Pohlheim und Simone und Tim van Slobbe als Vertreter der Stolpersteine Pohlheim e.V teil.

Das gemeinsame Ziel war nach Zug- und S-Bahn-Fahrt die Gedenkstätte Börneplatz und das Museum Judengasse. Eintritt und Führung konnten durch eine Spende der Sparkasse Gießen finanziert werden.

In eindringlicher Weise haben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Fahrt erfahren, dass der Börneplatz ein Ort ist, der mit der Geschichte einer jüdischen Familie aus Pohlheim  verbunden ist. Am Beispiel des Schicksals der 10jährigen Friedel Wallenstein aus Pohlheim-Grüningen wurde aufgezeigt, wie es 11.907 anderen Juden ergangen ist, die durch das nationalsozialistische Regime aus Frankfurt deportiert und ermordet wurden und an die an der Gedenkstätte Börneplatz erinnert wird.

Friedel Wallenstein lebte mit ihren Eltern in einem Fachwerkhaus in Grüningen in der heutigen Taunusstrasse. Nach den Novemberpogromen wurde es allen jüdischen Schülerinnen und Schülern verboten, öffentliche Schulen zu besuchen. Am 15. November 1938 erließ das Reichsministerium für Wissenschaft und Erziehung, dass es

„[n]ach der ruchlosen Mordtat von Paris […] keinem deutschen Lehrer und keiner Lehrerin mehr zugemutet werden [kann], an jüdische Schulkinder Unterricht zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, daß es für deutsche Schüler und Schülerinnen unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen.“ Zwar wäre die „Rassentrennung im Schulwesen […] in den letzten Jahren im allgemeinen bereits durchgeführt, doch ist ein Restbestand jüdischer Schüler auf den deutschen Schulen übriggeblieben, dem der gemeinsame Schulbesuch mit deutschen Jungen und Mädeln nunmehr nicht weiter gestattet werden kann.“ (Amtsblatt des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und der Unterrichtsverwaltungen der Länder, Band 4, 1938)

Aufgrund dieses Erlasses musste Friedel Wallenstein die Schule in Grüningen verlassen und besuchte  daraufhin die Jüdische Bezirksschule in Bad Nauheim und wohnte dort vorübergehend im Internat. Als auch diese Schule geschlossen werden musste, zog Friedel zunächst zu ihren Eltern nach Gießen, dann wieder nach Grüningen, um letztlich nach Frankfurt zu fliehen, um in der Anonymität der Großstadt unterzutauchen. In Frankfurt war sie mit ihren Eltern und Großeltern im Baumweg 25 gemeldet. Von dort wurden sie mit weiteren 1052 jüdischen Menschen am 11.-12. November 1941 in der Großmarkthalle Frankfurt zusammengeführt und am 12. November  in Waggons eingepfercht über  Warschau und Bialystock nach Minsk deportiert und dort ermordet. Vermutlich haben nur zehn der über tausend Menschen die Deportation überlebt. Das Todesdatum von ihr, ihren Eltern und Großeltern ist nicht bekannt. Unter den 11.908 Gedenksteinen am Börneplatz befindet sich auch einer für Friedel Wallenstein.

Im Anschluss erhielten die Schüler:innen einen Einblick in das jüdische Alltagsleben im Frankfurter Ghetto, welches das erste jüdische Ghetto Europas war. Es wurde 1460 gegründet. Zeitweise lebten über 3000 Menschen dort.

Auch über die Entstehung des Museums konnten die Jugendlichen einiges erfahren, denn als die Stadt Frankfurt 1987 ein neues Gebäude für die Stadtwerke errichten wollte, stieß man auf die Fundamente von Häusern aus der ehemaligen Judengasse. Da man den Bau fortsetzen wollte, kam es zu heftigen öffentlichen Kontroversen und Protesten, so dass die Stadt Frankfurt mit einem Teil der Funde dieses Museum errichtete.

Mit dem Besuch der Gedenkstätte Börneplatz und dem Museum Judengasse, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Erinnern in Pohlheim 2022“ angeboten wurde, will der Fachbereich Gesellschaftslehre einen Beitrag dazu leisten, junge Menschen gegen Populismus und Antisemitismus zu stärken und dass sie sich für Menschenrechte, Pluralität und Demokratie einsetzen. Außerdem soll  ihnen ermöglicht werden,  sich aktiv mit der NS-Vergangenheit in ihrer unmittelbaren Umgebung auseinanderzusetzen. Die Verbrechen fanden nicht irgendwo statt, sondern direkt vor unserer Haustür.

Filiz Bulut und Simone van Slobbe