Für eine Woche Mama und Papa sein

Schülerinnen und Schüler der ARS machen Erfahrungen mit der Elternrolle

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„Learning by doing“, ist eine der effizientesten Methoden im Kompetenzerwerb. Wenn es aber darum geht, etwas von der Verantwortung und Belastung junger Eltern hautnah zu erfahren, dann bedarf das schon eines außergewöhnlichen Arrangements. Und so bestimmten in der zurückliegenden Woche ungewohnte Bilder die Pausen und Unterrichtsstunden an der Adolf-Reichwein-Schule: Dort, wo sonst junge Leute „chillend“ den Pausenhof bevölkern oder im Klassenraum über Büchern und Heften brüteten, sah man Jungs und Mädchen mit Maxicosis oder mit einem Baby auf dem Schoß.

 

„Du, unsere hat bereits die zweite Nacht gar nicht durchgeschlafen“, meint ein 15-Jähriger zu einem Schulkameraden, der grade sein Baby wie selbstverständlich sanft wiegend die Flasche gibt und er sieht dabei sichtbar übermüdet aus. Wie schnell die dunklen Ringe unter Augen entstehen, von denen die eigenen Eltern immer unglaubhafte Geschichten erzählen, erfuhren 20 Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs 10 dieser Tage im Rahmen eines Projekts mit dem Titel „Baby-Bedenkzeit (c)“.


Durchgeführt wurde das Projekt von Astrid Mekelburg, die als Sozialarbeiterin in der Schwangerschaftskonfliktberatung beim Diakonischen Werk Grünberg arbeitet. Initialisiert, vorbereitet, organisiert und begleitet wurde das Projekt innerhalb der Schule von Iljana Kraft-Medebach, der Sozialarbeiterin an der ARS (Caritasverband Gießen e.V.).
Die Finanzierung hatten Schulgemeinde und Landkreises Gießen übernommen.
Mit dem 5-tägigen Projekt, bei dem lebensechte Baby-Simulatoren zum Einsatz kommen, soll Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Möglichkeit geben werden, sich so realistisch wie möglich mit den vielseitigen Aspekten und Anforderungen des Eltern-Seins auseinanderzusetzen und sie zu einer verantwortungsvollen Lebensplanung anzuregen.
Außerdem sollte auch vermittelt werden, dass es keine Schande ist, in einer Notlage Hilfe anzufordern. Hierzu stünden neben dem Diakonischen Werk und der Caritas noch viele andere Einrichtungen zur Verfügung. Aus Erfahrung wisse man, so die Referentinnen, dass die Rate der Kindeswohlgefährdungen drastisch sinkt, wenn Eltern auf geeignete Hilfsangebote zurückgreifen können.

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Der kleine Ausflug in die elterliche Verantwortung an der ARS hatte es jedoch in sich! Die jungen „Eltern auf Probe“ mussten sich Tag und Nacht um ihre Babysimulatoren und in allen Alltagssituationen kümmern. Die programmierten Tagesabläufe waren dabei denen echter Babys nachempfunden. Schrie das Baby, mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer herausfinden, ob es gefüttert werden wollte, ein sanftes Wiegen braucht, kräftiges Aufstoßen angesagt ist oder ein Windelwechsel ansteht.
War alles recht getan, konnte das kleine lebensecht gestaltete Kunststoffbaby sogar zufrieden glucksen. Wurde es grob behandelt, hatte es Hunger, ist sein Kopf nicht richtig gestützt oder lag es in einer Lage, die es nicht mochte, vermochte es allerdings auch durchdringend zu schreien.
Ein eingebauter Chip ermöglichte die differenzierte Auswertung der Versorgung am Ende des Projektes.
Natürlich wurden die jungen Probeeltern auf ihre Aufgabe umfassend vorbereitet. Gleich am ersten Tag informierte Antoinette Hofmann, ihres Zeichens Hebamme, mit viel Anschauungsmaterial über den Verlauf einer Geburt. Anschließend durften jeweils Schülerpaare ihre Baby-Simulatoren entgegen nehmen. Die Paare gaben ihren Babys Namen, die Kleinen wurden gewogen und gemessen und alle Daten in eine Geburtsurkunde eingetragen. Hiernach folgte noch eine Einweisung in die Funktionsweise der Babysimulatoren. Erst danach durften die Schülerinnen und Schüler ihren Schützlingen mit nach Hause nehmen. Wie man hörte, wechselten sich einige Paare mit der Pflege des Babys ab, andere kümmerten sich dauerhaft gemeinsam um ihr Kind.
An den folgenden Projekttagen wurden in der Schule über Kinderwunsch, Schwangerschaft, Elternschaft und Verhütung gesprochen. Die Jugendlichen erfuhren dabei viel die physischen, psychischen, sozialen und auch finanziellen Anforderungen, die heutzutage an Eltern gestellt werden. Und natürlich durften die Schülerinnen und Schüler über ihre Erfahrungen mit ihrem Baby berichten, insbesondere auch über die mitunter drolligen Reaktionen der Mitmenschen auf die Teilnehmer des Projektes, wenn sie mit ihren Babys in der Öffentlichkeit unterwegs waren. Diese reichten von Interesse bis hin zu Kopfschütteln und der Frage: „Seid ihr nicht zu jung für ein Baby?“.
„Dieser Rollentausch dürfte für unsere jungen Leute eine Bereicherung im Sinne einer echten Lebensschule gewesen sein. Das Projekt ist dank der vielseitigen Unterstützung und des Engagements unserer Schülerinnen und Schüler ein voller Erfolg geworden“, zieht Sozialarbeiterin Iljana Kraft-Medebach am Ende des Projekts eine positive Bilanz.
Bemerkenswert war auch, dass die meisten Schülerinnen und Schüler den jungen Eltern mit heiterem Interesse entgegenkamen. „Aber seid mal etwas leiser!“, war dann von dem einen oder anderen jungen Papa zu hören, der sich bis dato noch keine Gedanken um die Lautstärke auf dem Pausenhof gemacht hatte.
Als an einem Tag auch die vielen jungen Lehrkräfte der Adolf-Reichwein-Schule ihre Babys mit in die Schule brachten, war die Schule dann fest in der Hand der kleinen Windelträger. So lebensnah kann Schule sein!

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